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—- Gastbeitrag von Silke —-

Mein Sohn ist Autist und kann hören, spricht aber nicht. Sein Kommunikationsmedium ist die Gebärdensprache.

Den Weg zur Gebärdensprache zeigte Niklas uns ganz von selbst. Im Kindergarten begann er, sich einige Zeichen auszudenken, um zu kommunizieren. Das war wie eine Art Geheimsprache, die nur er und ein paar wenige Auserwählte verstehen konnten.

Als wir begriffen, dass die Gebärden die von ihm gewählte Kommunikationsform ist, mit der er sich wohlfühlt und an der er Freude hat, überlegten wir, dass die offizielle Deutsche Gebärdensprache doch sinnvoller ist als eine Geheimsprache. Denn in Zukunft sollten ihn ja auch andere Menschen verstehen können.

Silke und Niklas - www.ellasblog.de

Gesagt getan – ich belegte einige Kurse an der vhs in DGS und begann zu lernen. Nach und nach zeigte ich Niklas die Gebärden, die wir im Alltag verwenden konnten und unterrichtete auch die Erzieherinnen und anfangs auch die Mitarbeiter in der Schule. Allerdings war die DGS ja auch für mich eine neue Sprache und als Anfängerin kam ich natürlich irgendwann an meine Grenzen, weil mein Sohnemann immer schneller und immer häufiger neue Gebärden wissen wollte.

Nach einiger Zeit beschlossen wir, dass ein Profi ran muss und so beantragten wir für Niklas eine Schulbegleitung mit Gebärdensprachkompetenz. Das war dann erstmal gar nicht so einfach, bewilligt zu bekommen, weil es den Ämtern nicht plausibel erschien, dass ein hörendes Kind eine Begleitung mit Gebärdensprachkompetenz braucht. Aber wir argumentierten mit seinem Recht, die Kommunikationsform frei zu wählen und so bekam er die Unterstützung, die er brauchte.

Nun hat Niklas bereits seit fast acht Jahren Schulbegleiterinnen an seiner Seite, die den Unterricht mit gebärden, seinen Wortschatz auf diese Weise stetig vergrößern und seine und damit unsere Lebensqualität enorm verbessern. Es ist einfach wunderbar, wie begeistert und wissbegierig er dabei ist und alle Lügen straft, die behaupten, die Gebärdensprache sei nichts für Autisten.

Hier gibt es leider häufig Vorurteile. Zum Beispiel wird gesagt, dass Autisten nicht gebärden könnten, weil sie wenig oder keinen Blickkontakt aufnehmen. Das ist bei Niklas kein Hinderungsgrund, da er sowieso viel mehr über peripheres Sehen mitbekommt als wir nichtautistischen Menschen. Er hat schon häufig etwas nachgebärdet, nachdem ich dachte, dass er das nicht gesehen haben konnte – hatte er aber. Außerdem wird das „hinschauen wollen“ damit auch gefördert. Er möchte lernen, er ist motiviert zu kommunizieren, weil er inzwischen weiß, dass er sich damit ausdrücken, seine Wünsche, Gefühle und Bedürfnisse mitteilen kann – und daher schaut er auch immer häufiger auf die Hände und in das Gesicht seines Gegenübers. Das ist aber kein vorrangiges Ziel dieser Förderung, sondern etwas, das er nach und nach selbstständig macht und was das Gebärden naturgemäß mit sich bringt.

Die Mimik, die in der DGS ja eine große Rolle spielt, setzen wir nur spärlich ein, weil Niklas sie nicht eindeutig zuordnen könnte. Aber das tut der Kommunikation keinen Abbruch. Da er ja hören kann, nimmt er Stimmungen und Gefühle über den Tonfall auf und gleicht somit aus, dass er der Mimik seines Gegenübers wenig Bedeutung beimisst.

Auch die Grammatik wird von uns (noch) nahezu vernachlässigt. Im Grund gebärden wir Schlüsselwort an Schlüsselwort, aber auch das wird immer besser und inzwischen ist er in der Lage auch abstrakte Worte zu verwenden und – was ich immer wieder gefragt werde – seine Gefühle und Sorgen auszudrücken. Das ist etwas, das so immens wertvoll ist, da Autisten entgegen gängiger Klischees selbstverständlich ein reiches Gefühlsleben haben, häufig aber nicht wissen, wie sie es vermitteln sollen. Niklas hat über die Gebärden einen Weg gefunden.

Wir gebärden also keine perfekte DGS, aber die Gebärden sind aus der DGS und die Art und Weise, wie Niklas sie in sein und damit in unser aller Leben integriert hat, ist für alle bereichernd

Wenn mich andere Eltern mit autistischen Kindern fragen, was ich als besonders wichtig in diesem Zusammenhang erachte, sage ich immer:

Man sollte die Gebärden nicht als Instrument oder lediglich als Mittel zum Zweck begreifen, sondern sie als Lebenshaltung in den Alltag integrieren. Die ganze Familie sollte mitgebärden. Es geht nicht darum, einige Ausdrücke zu lernen, sondern darum, gemeinsam einen neuen Weg der Kommunikation zu beschreiten. Man sollte es seinen Kindern vorleben, mit viel Geduld dabei bleiben und es als Bereicherung für alle betrachten. Es macht Spaß und es ist etwas enorm Verbindendes.

Silke – www.ellasblog.de

Viele Autisten haben übrigens einen besonderen Humor, auch der in unserer Familie ist durch Niklas ziemlich schräg geworden. Auch das ist etwas, was wir offenbar mit der Gehörlosenkultur gemeinsam haben. Und die Gebärdensprache kommt uns dabei sehr entgegen.

Vielen lieben Dank für die Möglichkeit, an dieser Stelle etwas aus unserem Leben mit der DGS erzählen zu dürfen.

Wenn Ihr Euch für das Thema „Leben mit Autismus“ interessiert, besucht gerne meinen Blog, es ist ein Online-Magazin rund um das Thema Autismus mit vielen Erfahrungsbeiträgen, Gastartikeln und Interviews:

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Silke von ellasblog.de

Herzlichst Silke

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Liebe Silke, vielen lieben Dank für Deinen Gastbeitrag! Er ist sehr aufschlussreich und spannend! Ich bin mir sicher, dass dieser Beitrag anderen Menschen sehr weiterhilft, die in einer ähnlichen Lage sind. Nicht nur mit Autismus, auch mit der Gebärdensprache. Dein Gastbeitrag öffnet den Blick „über den Tellerrand hinaus“ für eine richtige Kommunikation und gegenseitiges Zuhören. In meinen Augen ist das ein sehr wertvoller Beitrag! Weiterhin viel Erfolg mit Deinem Blog 🙂 und nochmals einen ganz herzlichen Dank dafür!

Die Gehörlosblog-Redaktion

Judith Harter

TEile weiter

  • Liebe Silke
    Auch wir verwenden Gebärden . Ähnlich wie bei euch war es Anfangs eher eine Geheimsprache. Wir wollten gerne schon im Kindergarten zur DGS übergehen. Doch riet man uns ab mit der Begründung dass es genau wie bei Fremdsprachen verschiedene Gebärdensprachen gäbe und wir nicht wüssten welche später gebraucht würde und es wurde die Befürchtung geäußert dass er dann gar nicht am sprechen interessiert sei. Er benutze damals schon einzelne Wörter oder Geräusche um zu verdeutlichen.
    Erst in der mittleren Phase der Schule ich glaub es war so mit 12 Jahren hatten wir das Glück eine Lehrerin zu bekommen , frisch von der Uni, die gerade einen DGS Kurs gemacht hatte und diesen dann gleich anwenden könnte . Dadurch wurde das Repertoire größer und das Leben für alle richtig schön. Man konnte kommunizieren auch wenn einige Entfernung zwischen uns war . Er lernte einzukaufen und auch die Leute hier im Ort lernten einige Gebärden mit. Und mit den Gebärden würde auch der Wortschatz mehr da wir immer beides angewendet haben. Seine Gefühle allerdings zeigt er nur durch Mimik . Und zwar ziemlich theatralisch. Das heißt für mich er nimmt diese auch war. Mit dem Blickkontakt ist es so dass er ihn früher gemieden hat. Ihn heute aber sucht . Das ist für mich nicht leicht da ich seit 30 Jahren quasi gewöhnt bin ihm nicht direkt in die Augen zuschauen . Und jetzt soll ich es tun. Ich hab immer ein sein seltsames Gefühl dabei. Und es freut mich auch.
    Was ich interessant finde ist wie ihr argumentiert habt. Da könnten wir noch einige Tips gebrauchen.
    Liebe Grüße und danke

  • Wir benutzen an meiner Förderschule für geistige Entwicklung sprachbegleitend viel DGS Gebärden. Vorwiegend, damit die Schüler einen länger anschauen und daher mehr mitbekommen, dann auch, weil viele sehr undeutlich sprechen und mit Gebärden leichter verstanden werden. Nicht zuletzt hilft es uns Erwachsenen bewusster zu reden und nicht ins Plaudern zu kommen;-)
    Für mich neu und hochinteressant war es, zu lesen, dass Niklas eine Gebärdendolmetscherin an seiner Seite hat? Wir haben eine geistig behinderte Schülerin, die sich mit ihrer Cochlea- Implantaten für die DGS als Sprache entschieden hat. Dafür sind wir leider nicht gut genug. Ein Dolmetscher wäre großartig! Wer finanziert das?
    Liebe Grüße Anka

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