Gehörlose – Gehöre ich zur gehörlosen oder hörenden Welt?

In der Gehörlosenwelt wird man als Gehörlose immer mal wieder gefragt: „Zu welcher Welt gehörst du? In die gehörlose Welt oder in die hörende Welt?“ und damit wird der Gehörlose in eine bestimmte Schublade gesteckt.

Warum dieses Für und Wider? Das ist völlig unnötig, denn: In meiner Welt gibt es MICH.

Um mich herum gibt es „diese kleine Welten“, oder „Kreisen“ , in denen ich mich bewege. Ich bin eine Gehörlose und bewege mich frei in meinen von mir auserwählten Kreisen, egal, ob ich innerhalb dieser Kreise von Leuten akzeptiert werde oder nicht. Ich habe mich für diese Kreise entschieden.

Der beste Weg ist die Akzeptanz und jede Welt ist ein Teil von mir, ein Teil meines Lebens. Ich kenne so manche Gehörlose, die wegen dieser Frage in eine Konflikt-Situation kommen und sich von keiner der Kreisen als angenommen / akzeptiert fühlen sowie sich selbst nicht zugehörig fühlen. Das kann ich nachvollziehen, da ich in meiner Jugend mich damit beschäftigte und haderte. Denn:

Ich wurde von den Schwerhörigen als „Gehörlose“ und von den Gehörlosen als „schwerhörig“ eingestuft. Von einigen Hörgeschädigten wurde ich verdächtigt, dass ich mich als hörgeschädigt ausgebe, in Wirklichkeit aber hörend sei, um bei den Hörgeschädigten Profit rauszuholen – es sei zu augenfällig, wegen meinem sehr guten Deutsch. Bei den Hörenden wurde ich entweder gefragt, ob ich eine Ausländerin sei, oder, warum ich so komisch spreche. Einfach alles mögliche Schubladendenken.

Ich wusste aufgrund dieser lauter Infragestellungen eine Weile nicht, wie ich mich selbst zuordnen sollte.

Bis ich eine Erkenntnis bekam: Moment mal, ich muss mich gar nicht für die gehörlose Welt entscheiden, ich bin in mehreren Welten, sie sind alle ein Teil meines (gehörlosen) Lebens. Sie gehören alle zu mir. Ja, Ihr gehört alle zu mir, ob Gehörlose oder nicht!

Seitdem bin ich einfach nur noch „relaxed“ 😉

TEile weiter

  • Ein weites Feld, das Judith GÖLLER anspricht – und doch mein Versuch, dazu etwas zu sagen. Könnt nicht vieles eifacher sein? „Ich bin einfach nur noch relaxed“, sagt Judith Göller am Schluss.

    Doch nun ein paar Anmerkungen von mir. Das kann nicht in Ausführlichkeit im Rahmen eines BLOGs sein.

    Der Beitrag von Judith Göller spricht ein Thema an, das mich von Kind an tangiert:
    „Behindertsein“ und „eine Welt“.
    Man könnte Seiten darüber schreiben. Das hat seine geschichtlichen und tatsächlichen Gründe.
    Ich wurde als Kind eines blinden Vaters und einer sehenden Mutter geboren.
    Ich ergriff den Beruf des Lehrers, schließlich auch den Beruf des Blinden- und Sehbehindertenlehrers.
    Bis heute, da ich nicht mehr unmittelbar im Unterricht stehe, habe ich Kontakt zu sehgeschädigten Menschen. Sie wurden mir vielfach zu persönlichen Freunden.
    Gern erweitere ich meinen Horizont im Verhältnis zu behinderten Menschen. Man erfährt immer wieder Neues. So stieß ich auch aud diesen BLOG (GEHÖRLOSENBLOG).

    Die Selbsthilfezeitschrift des heutigen Blinden- und Sehbehindertenverbandes heiß früher, da noch der ehemalige Deutsche Blindenverband in der früheren Bundesrepublik Deutscher Blindenverband hieß, für lange Zeit „Die Blindenwelt“.
    Ich möchte es auf einen Punkt bringen, wobei ich den Beitrag von Judith Göller zitieren möchte:
    „Ich bin in mehreren Welten“.

    Ich habe erfahren: Es geht nicht darum, sich nur einer „Welt“ zuzuordnen, zum Beispiel der genannten „Blindenwelt“.
    Das Analog dazu bei Judth Göller: die „Gehörlosenwelt“

    Man soll seine „spezielle“ Weltnicht verleugnen. Der Blinde ist blind, der Sehbehinderte ist sehbehindert, der Gehörlose ist gehörlos, der Schwerhörige ist schwerhörig, der Körperbehinderte ist körperbehindert.
    Darum wissen die behinderten Menschen in der Wahrheit auch. Sie leben sie.
    Alles andere wäre Selbstbetrug.
    Doch der behinderte Mensch lebt in einer Welt mit Nichtbehinderten*.
    Er wird sich, so er sich als Mensch in mehreren Welten versteht, schließlich in die „ganze“ Welt integrieren. Doch auch der Nichtbehinderte hat die Pflicht -so wir unser Land als ein Land der Menschenwürde verstehen- zu akzeptieren, dass es behinderte Menschen gibt. Das bedeutet im Grunde ein „Aufeinanderzugehen“.
    Vieles ist in Deutschland während der vergangenen Jahre erreicht worden, was die Integration behinderter Menschen betrifft. Das Prinzip der Normalisierung, das behinderte Menschen in Selbstverantwortung integrieren will, es wurde besonders von meinem leider zu früh verstorbenen Professor Walter THIMM
    immer wieder betont, Dabei war sein Leitziel die MENSCHENWÜRDE.
    Heute spricht man mehr und mehr von dem Begriff Inklusion statt Integration.
    Inklusion bedeutet Einschluss – und zum Einschluss gehört, dass die Aufgabe von Staat und Gesellschaft ist, die Rahmenbedingungen zur Integration Behinderter mehr in den Vordergrund zu rücken.
    Schließlich geht es um die Normalisierung des Lebens von Behinderten.
    Doch dabei darf ein wichtiges Moment nicht vergessen werden. Es geht auch darum, das denken und Handeln der Nichtbehinderte zu normalisieren, nämlich darum, dass
    nichtbehinderte Menschen das Leben mit Behinderten als etwas Normales anzusehen – auch wenn der Anteil der Behinderten statistisch nicht groß ist.
    Doch das ist ja nichtentscheidend, wenn es um die Setzung einer Norm geht.
    Denn:
    Norm heißt Handlungsmaßstab.
    Und Handlungsmaßstab muss das Menschsein zum Inhalt haben.
    Und das bedeutet: Menschenwürde. Und das heißt, als MENSCH akzeptiert zu werden.
    Jeder Mensch soll seine Würde leben können.
    Dazu gehören seine Freuden, seine Trauer, sein Müßiggang und seine Aktivität, seine Angst und sein Mut. Eine normale Welt ist eine Welt, die dies alles toleriert.
    Man mag das als IDEAL bezeichnen. Ds ist es wohl auch.
    Doch das Fehlen von IDEALEN würde die Welt verümmern lassen.

    *Anmerkung:
    Es stellt sich schon immer der Punkt. Auch der nichtbehinderte Mensch hat seine Beeinträchtigungen/Behinderung, denn der mensch ist nie vollständig „rund“.

    ERICH MEYER
    hörend

  • Mir ist nur bei desen Überlegungen aufgefallen,dass viele SH vergesslich sind.Weil irgendwie im Kopf Assoziationen zwischen dem Sein (wo gehöre ich hin?) und dem „Merken“ ablaufen.Ich merke mir vieles,aber Kleinigkeiten übersehe ich stets.Ist da was dran?

  • An Allen,

    Lieber Blogleser und liebe Blogleserin,

    wir können nachweisen und bestätigen , dass Judith Göller gehörlos geboren ist.
    Sie ist eine hochbegabte und intelligente Frau, der wir unter den Gehörlosen das erste Mal begegnet sind. Wir sind stolz auf sie.
    Es ist für uns unvorstellbar , was so manche Leser und Leserin – auch noch anonym – behaupten.
    Wir wünschen für Judith Göller, die Gehörlosblogerin weiterhin viel Erfolg.

    Grüße aus Speyer
    Truckerpaar Verena und Frank

  • Der Beitrag von Ehepaar Künne spricht sich noch einmal gegen das Schubladendenken aus, das Judith GÖLLER mit Recht kritisiert.
    Ich bin als Hörender gerade am Gehörlosblog interessiert, weil dieser Blog zum Ziel
    hat, die Verschiedenartigkeit der Menschen nicht zu verleugnen, aber das allverbindliche Menschsein als Hauptlinie hat.

    ERICH MEYER

  • „Man soll seine “spezielle” Weltnicht verleugnen.“
    das hieße auch, dass Eltern von nicht / schlecht hörenden / sehenden Kindern ihren Kindern beide Weltern zeigen sollten. Eigentlich logisch, aber ein hoher Anspruch. Vielleicht gibt es hierzu auch einen schönen Erfahrungbericht?
    toas
    (hörend, Tochter mittelgradig hörbehindert)

  • @toas
    Warum soll es ein hoher Anspruch sein, wenn Eltern hörgeschädigter /sehbehinderter Kindern ihnen beide Welten zeigen?
    Die Kinder sollten die Vielfältigkeit der Welten erfahren und dadurch finden sie auch unter ihren „großen“ Schicksalsgenossen ihre Vorbilder /Mentoren, dass auch sie etwas auf die Beine stellen können.

    Herzliche Grüße
    die Gehörlosbloggerin Judith

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