Die Wahrheit über Mona Lisa

Englischer Originaltext: Gael Hannan http://hearinghealthmatters.org/betterhearingconsumer/2012/the-truth-about-mona/ –

Deutsche Übersetzung: Birgit Meyer

 

Die Wahrheit über Mona Lisa

 

Das Lächeln, eigentlich nur ein leichtes Kräuseln der Lippen. Und die Augen? Lächeln sie auch oder beobachten sie jemanden. Aber wen? Und warum?

Die Wahrheit über Mona Lisa (Bildquelle: Wikipedia)

 

Seit Hunderten von Jahren bewundern Kunstliebhaber, Könige und einfache Leute Mona Lisas Schönheit und grübeln über den Ursprung ihres rätselhaften Lächelns. Aber ich, völlig unbeeindruckt von ihrer romantischen Wirkung, WEISS Bescheid.

Mona Lisa war schwerhörig.

Ich weiß das, weil sie diesen ganz besonderen Ausdruck hat. Diejenigen von uns, die wissen, was Hörschädigung bedeutet, erkennen in Mona Lisas Gesichtsausdruck den Ausdruck einer Person, die entweder völlig abgeschaltet hat oder nur so tut, als folge sie der Unterhaltung.

Denkt mal drüber nach. Leonardo da Vinci stand ja hinter der Staffelei, während er malte. Hingerissen von der Schönheit seines Models, schwafelte er pausenlos über ihre rätselhafte Schönheit (cara mia, bella bella) und Mona Lisa hatte nicht den blassesten Schimmer, wovon er redete – denn sie konnte ja nicht von seinen Lippen absehen.

Und weil sie vermutlich nicht wollte, dass da Vinci (oder auch sonst jemand) von ihrer Schwerhörigkeit erfuhr, lächelte sie einfach, als ob sie jedes Wort seiner Litanei verstünde. Und so kam es,  dass da Vinci voller Leidenschaft DEN BESONDEREN AUSDRUCK malte, der zu einer bleibenden Ikone der Zivilisation wurde.

Ja, Mona Lisa hat geblufft, wie es alle Menschen mit einer Hörschädigung machen, ob wir es nun zugeben oder nicht. Statt zuzugeben, dass wir in einem Gruppengespräch verloren sind,  nehmen wir einen Ausdruck freundlichen Verstehens an, nicken hin und wieder andeutungsweise, um Zustimmung mit dem Gesagten anzudeuten – oder auch eben nicht. Obwohl wir durchaus nicht immer vorhaben zu bluffen, sind die meisten von uns alte Hasen, die glauben, niemand kennt ihr dunkles Geheimnis – dass wir nämlich genauso verloren wie die alte Mona sind.

Wir sind völlig davon überzeugt, dass wir gut im Bluffen sind. Aber in Wahrheit könnten wir das ein oder andere über persönliche Geheimhaltung von Mona Lisa lernen. Die unerbittliche Wahrheit ist, dass jeder, der uns gut genug kennt, um uns in einer polizeilichen Gegenüberstellung zu erkennen, auch merkt, wann wir bluffen.

Hier ein paar verräterische Anzeichen, dass Du es mit einem Bluffer zu tun hast, der nur so tut, als höre er Dir zu oder verstehe, was Du erzählst. (Anmerkung des Autors:  Ich habe all diese Dinge selbst praktiziert und bin schon dabei erwischt worden.)

  • das im Vorfeld erwähnte Halblächeln von Mona Lisa: unverbindlich, irgendwo zwischen einem breiten Grinsen und der Totenstarre
  • eine Augenbraue leicht nach oben gezogen, um Interesse anzudeuten. Aber eine Braue, die zulange gewölbt bleibt, sollte einem zu denken geben. Oder kennst Du jemanden, der mit  nicht nachlassendem Interesse an jedem Deiner Worte hängt – und das stundenlang?
  • Die Hände fest im Schoß gefaltet oder verschränkt. Ich habe mich immer schon gefragt, warum man das macht. Aber jetzt, nachdem ich Mona Lisas Hände gesehen habe, ist mir klar geworden, dass es ein typisches Merkmal für Hörverlust ist, ein Zeichen von Stress. Wenn der eigene Beitrag in einer angeregten Unterhaltung nur in wiederholten „Verzeihung?“ besteht, leidet das Selbstbewusstsein enorm.
  • Wenn direkt angesprochen, zuckt derjenige zusammen und antwortet: „Entschuldigung, ich war gerade in Gedanken. Was haben Sie gesagt?“ Sehr verdächtig, vor allem, wenn die gleiche Person Dich die ganze Zeit mit Kuhaugen angestarrt hat.
  •  Jemand steht auf und verlässt den Raum, während der Sprecher noch nicht fertig ist. Ein ganz klarer Hinweis.

Alle schwerhörigen Menschen bluffen in einem gewissen Ausmaß und daran wird sich auch nichts ändern. Das wahre Problem liegt vielmehr darin, wie oft und in welchen Situationen wir bluffen. Einige von uns täuschen gelegentlich, aber für andere kann es durchaus eine Art der Lebensgestaltung sein. Auch wenn es mir weh tut zu sehen, wie schwerhörige Menschen sich aus einer Unterhaltung ausklinken, so verstehe ich doch die Gründe dafür: die Verleugnung des eigenen Hörverlusts oder dessen Schwere,  der Unwille, die Leute mit der ständigen Bitte, etwas zu wiederholen zu ärgern oder, von uns allen wohl am meisten gefürchtet, unpassende Äußerungen im falschen Moment.

Ich selbst benutze diesen BESONDEREN AUSDRUCK auch, und zwar aus persönlichen, ganz gewöhnlichen Gründen. Es kostet einen Haufen Konzentration und Energie, alles verstehen zu wollen. Manchmal ist es einfacher, sich für eine Weile auszuklinken, ganz besonders in Situationen, in denen das Zuhören zusätzlich erschwert ist, wie in überfüllten Restaurants, in Unterhaltungen, in denen sehr schnell geredet wird oder bei lauten Familienzusammenkünften.

Ich habe auf die harte Art gelernt, dass Bluffen auch ernste Folgen haben kann. Vor langer Zeit, während eines nächtlichen Strandspazierganges mit wachsendem romantischem Interesse zwischen mir und meinem Begleiter, stellte dieser mir eine Frage. Es war dunkel, die Wellen waren laut und ich habe ihn nicht verstanden. Wahrscheinlich hatte ich ihn an dem Abend schon zu häufig gebeten, etwas zu wiederholen, also beschloss ich zu raten und antwortete: „Nein“. Er blieb stehen und wiederholte überrascht: „Nein?“ Oha, dachte ich, das hier musste wichtig sein. Aber ich war schon zu weit gegangen und falscher Stolz brachte mich dazu,  mein Nein entschlossen zu wiederholen.

Ende der Beziehung; ich habe den netten Jungen nie wieder gesehen. Und bis heute habe ich keine Ahnung, was er mich eigentlich gefragt hat. Aber ich kann es mir vorstellen:

Netter Junge: Ich mag Dich Gael. Magst Du mich auch?

Gael:  Nein.

Netter Junge: Wirklich? Du möchtest mich nicht wieder sehen?

Gael: Nein.

Weil ich Angst hatte, wie ein Idiot dazustehen, habe ich etwas ganz besonderes verloren. (Aber wie heißt es so schön, alles ist gut, was gut endet. Später habe ich einen wundervollen Mann geheiratet. Aber man fragt sich doch ständig, was möglicherweise hätte sein können.)

Ich gehe mittlerweile selbstbewusster mit meiner Schwerhörigkeit um und mit den Dingen, die ich brauche, damit ich möglichst problemlos kommunizieren kann. Aber es hat ein ganzes Leben lang gedauert, dahin zu kommen. Keiner von uns schafft das von heute auf morgen. Hin und wieder geben wir dann unserer Mona Lisa Seite nach und bluffen. In solchen Situationen sage ich mir selbst: „Das ist zu schwierig, diesen Teil überspringe ich einfach. Denn einige Situationen kann ich wirklich nicht kontrollieren. Ich kann meinen Wünschen Ausdruck verleihen, aber ich kann mein Gegenüber nicht zwingen, deutlicher zu sprechen oder Blickkontakt zu wahren. Ich kann die Hintergrundgeräusche abstellen, aber ich kann die Leute nicht zwingen, nicht gleichzeitig oder durcheinander zu sprechen.“

Also, was macht ein kluges Mädchen in einer solchen Situation?

Andeutungsweise lächeln, die linke Augenbraue ein wenig hochziehen, Hände im Schoß verschränken und auf Teufelkommraus hoffen, dass es nicht direkt angesprochen wird.

Und wer weiß? Vielleicht bringt meine mysteriöse Schönheit ja jemanden dazu, mich  zu malen, damit sich Menschen im dritten Jahrtausend über mein Lächeln wundern können.

 

Ich danke meiner Teamkollegin Birgit Meyer (schwerhörig, Cochlea-Implantat-Trägerin)

Birgit Meyer, sh, CI-Trägerin

für die Übersetzung des Originaltextes von der schwerhörigen Bloggerin Gael Hannan (siehe ihr Blog: http://hearinghealthmatters.org/haveyouheard/)

Gael Hannan, sh

und die Kooperation mit den beiden Power-Frauen. Einen ganz herzlichen Dank beiden! 😀

 

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Judith Göller

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