Judith, Eva und Anna…
Wer meine persönliche Vorstellung in diesem Blog durchliest, weiß, dass ich noch zwei hörbehinderte Schwestern habe.
Meine Schwestern heißen Eva und Anna. Ich selbst bin die Älteste von 4 Geschwistern (ich habe einen hörenden Bruder). Meine Schwester Eva ist 1 1/2 Jahre jünger als ich. Meine jüngste Schwester Anna ist 14 Jahre jünger als ich.
Die Genberatung steht bei uns vor einem Rätsel, warum nur wir drei Mädchen von der ganzen Verwandtschaft als gehörlos geboren wurden.
Meine Schwester Eva hat noch eine zusätzliche Behinderung zu ihrer Hörbehinderung, das Franceschetti-Syndrom. Warum ich dies erwähne, darauf komme ich noch zurück.
Meine Mutter hatte bezüglich der Lautsprach-Erziehung bei mir Erfolg, weil ich den Ehrgeiz hatte (und immer noch habe), die Sprache zu lernen und zu beherrschen. Ich begann bereits mit 2 1/2 Jahren lesen und schreiben, was für mich von großem Vorteil war, um so den direkten Draht zur deutschen Sprache zu finden. Dadurch konnte ich auch viel besser von den Lippen ablesen. Alles, was Buchstaben hatte, reizte mich sehr und ich las sehr viel. Durch diese jahrelange Übung bin ich inzwischen eine sehr schnelle Leserin – ich tue geradezu die Bücher „verschlingen“ 😉
Als meine Schwester Eva auf die Welt kam, auch gehörlos, bekam sie auch ihre Frühförderung in der Lautsprache. Jedoch hatte sie kaum Lernwillen bzw. tat sich sehr schwer damit, sie fand nur sehr schwer den Weg zur Lautsprache. Auch aufgrund ihrer zusätzlichen Behinderung, sie konnte die Worte nicht formen. So habe ich dann mit Eva zusammen unsere eigene Gebärdensprache „gemacht“, so dass wir uns mittels Gebärdensprache unterhalten und verstehen konnten. Meine Mutter kam sich bei Eva als Versagerin vor, weil sie nie ganz zu Eva hindurchdringen konnte, was die Lautsprache betraf. Dass es noch andere Gehörlose gab, davon wusste ich nicht.
Ich war mir damals als Kind schon sehr bewusst, dass Eva und ich anders waren als die hörenden Menschen um uns herum. Ich kann mich heute immer noch an die Gedanken, die ich mit 3 Jahren hatte, erinnern.
Erst mit 4 Jahren (was damals zu meiner Zeit üblich war) ging ich in den Kindergarten für Hörsprachbehinderte in Frankenthal. Dort kam ich das erste Mal mit anderen gehörlosen Kindern in Berührung und kam nicht mehr aus dem Staunen heraus, dass es soviele andere gehörlose Kinder gab, die auch nicht hören konnten wie Eva und ich. Dort kam ich auch das erste Mal mit der Gebärdensprache anderer gehörlosen Kinder in Kontakt, welche sich sehr von der Gebärdensprache von Eva und mir unterschied.
Ich übernahm vieles von dieser „Kindergarten“-Gebärdensprache (es wurde im Kindergarten nicht die Gebärdensprache gelehrt, sondern die Lautsprache, aber wir Kinder unterhielten uns unter uns trotzdem in Gebärdensprache, weil es einfach schneller und leichter ging in der Kommunikation). Ich brachte davon vieles meiner Schwester Eva bei. Dennoch blieb unsere eigentliche Gebärdensprache weiterhin bestehen, die sich von der Gebärdensprache anderer Kinder unterschied. Bis heute.
Mittels unserer eigener Gebärdensprache vermittelte ich oft zwischen meiner Mutter und Eva, weil meine Mutter Eva manchmal überhaupt nicht verstand und umgekehrt ebenso.
Dann kam mein hörender Bruder auf die Welt (9 Jahre nach mir) – das ist wiederum eine eigene Geschichte für sich, ich weiß noch nicht, ob ich darüber berichten soll? Ich frage da meinen Bruder, ob er damit einverstanden ist…
Zuletzt kam meine Schwester Anna auf die Welt, von ihr brauche ich nicht viel zu berichten, da sie vom Ehrgeiz und Lernwillen her mir ähnelt. Sie hatte noch viel mehr Vorteile als ich, dank der Erfahrung meiner Mutter bei mir sowohl auch Eva. Als Anna noch keine Hörgeräte hatte als Baby, hat meine Mutter ihr von Anfang an in die Ohren direkt reingesprochen, so dass sie sehr früh mit Stimmen in Kontakt kam und dadurch schnell das Hörverständnis erwerben konnte. Als Anna ca. halbes Jahr war, bekam sie ihre Hörgeräte und konnte auf diese Weise ihr bereits erworbenes Hörverständnis weiter entwickeln und kam in den hörenden Kindergarten. Dann später in die hörende Grundschule und anschließend aufs Gymnasium. Freilich hatte Anna auch ihre Probleme auf den hörenden Schulen, da sitzen wir alle Hörbehinderte eigentlich im gleichen Boot. Derzeit studiert sie Hörgeschädigten-Pädagogik, um Lehrerin für gehörlose/schwerhörige Kinder zu werden, mit Fachrichtung Musik. Sie spielt Klavier und gibt auch Klavierunterricht und das als Hörbehinderte und mit Hörgerät. Sie macht das echt hervorragend.
Für viele mag die Musik ein Widerspruch bei hörbehinderten Kindern zu sein, aber die Musik ist erst recht ganz besonders wichtig für die hörbehinderten Kinder, um ihr Gespür und Gefühl auch besser entwickeln zu lassen. Das ist wiederum ein ganz eigenes Thema für sich, worüber ich ganz sicher auch schreiben werde, zusammen mit Anna. Mal sehen…
Zusammengefasst möchte ich damit sagen, dass es bei den Hörbehinderten/Hörgeschädigten nicht ohne Gebärdensprache gehen kann (zum Beispiel meine Schwester Eva und ich selbst ebenso). Jedoch ist es sehr wichtig, dass die Hörbehinderten viel LESEN sollen, um den direkten Draht zur Sprache zu bekommen und zu behalten, was die Gebärdensprache nicht ersetzen kann. Auf diese Weise eignen sich die Hörbehinderten auch die Unabhängigkeit bzw. Selbstständigkeit in der Kommunikation mit anderen Mitmenschen an.
Den Artikel von JUDITH Göller (Judith/Eva/ und Anna) las ich mit aufrichtigem und großem Interesse.
Da ich im Bereich der Sehgeschädigtenpädagogik ausgebildet wurde (bin sehend und hörend) bin ich auf manch behindertenspezifische Aspekte eingestellt. Dennoch ist es für mich interessant und bereichernd – gerade Biografien von Menschen zu hören, die mit eingeschränktem Hörvermögen leben müssen. Ganz besonders würde ich es gut finden, auch Näheres über die Tätigkeit der Judith-Schwester Anna zu lesen, die einen pädagogischen Beruf mit dem Fach Musik erlernt. Vielleicht ist darüber ja einmal im Blog zu lesen.
Viel Erfolg weiterhin bei der Arbeit im Blog –
ERICH MEYER/HAMBURG
NACHFRAGE
Mein Beitrag vom 17. Mai 2011
Erscheint vielleicht einmal ein Beitrag zur JUDITH-SCHWESTER Anna
Studium Musik?
Ich wäre sehr daran interessiert und würde mich dazu freuen.
ERICH MEYER (hörend)
-Blogleser-
Liebe Judith,
dieser Artikel http://www.zeit.de/gesellschaft/2012-04/leserartikel-gehoerlose-portrait der über Dich berichtet, hat mich fasziniert und mir Gänsehaut-Gefühl gemacht… und hier lese ich wieder über Deinen Ehrgeiz und Deinen Lernwillen.. ich schau immer wieder gerne auf Deinem Blog vorbei. Es gibt mir einen Anreiz selbst an meinen Herausforderungen zu arbeiten und nicht aufzugeben und natürlich bin ich einfach ein Fan von Dir, liebe Judith. Manchmal bin ich von etwas genervt, weil etwas nicht gelingen will oder alles viel langsamer sich entwickelt, als ich mir das vorstelle… und dann tut es mir gut von Dir zu lesen, wie Du alles meisterst – wie Du nicht aufgibst… ich bin so dankbar, Dich kennen gelernt zu haben.
Du begleitest mich auf meinem Weg mehr als Du denkst 😉
ich umarme Dich, liebe Judith,
wünsche Dir weiterhin so viel Erfolg in Deinem Leben und Freude natürlich,
herzlichst,
Deine Laura
http://www.wildemilde.com