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Interview – Andreas Costrau gebaerdenservice.de

Der nächste Interviewpartner ist Andreas Costrau mit seinem Unternehmen gebaerdenservice.de. Gemäß dem Interview-Motto: „Auch wenn wir nicht hören, na und! Wir können uns sehen lassen“ freue ich mich, das Interview mit Andreas Costrau zu führen. Er gehört wohl zu den führenden Unternehmern in der Gehörlosenwelt, da er in interessanten Filmprojekten involviert ist. Ich berichtete kürzlich über den Kinofilmprojekt „Freak City“, in dem die Produzentin Birgit Stauber von ihren Erfahrungen mit der gebaerdenservice.de berichtete. Und so passt das Interview mit Andreas Costrau genau richtig im Anschluss daran 🙂 Er feierte am 1. März 2017 sein 11-jähriges Firmenjubiläum der gebaerdenservice.de.

Interview mit Andreas Costrau von gebaerdenservice.de

1) Als Unternehmer des www.gebaerdenservice.de hast Du Dir nicht nur in der Gehörlosenwelt, sondern auch in der Gesellschaft als Experte in der Gebärdensprache einen Namen gemacht. Bitte stelle Dich und Dein Unternehmen vor.

Wir unterrichten die deutsche Gebärdensprache wie auch die Kultur der Gehörlosen. Unser Konzept / Unterrichtsmaterial etc.  wird auch von uns erstellt. Weiterhin coachen wir auch Schauspieler, die die Gebärdensprache anwenden und wir sind auch Berater in vielen Bereichen zum Thema Gebärdensprache und Gehörlose, sowie Barrierefreiheit für taube MitbürgerInnen. Manchmal beraten wir auch dazu, wie man ein Unternehmen gründet oder führt. Ich glaube, das reicht erstmal … 😉
Andreas Costrau - gebaerdenserivce.de
© Andreas Costrau – gebaerdenservice.de

2) Kürzlich erfuhr ich von einem sehr guten Vortrag von Dir mit dem Thema „WAS“ – Kannst Du uns erläutern, worum es geht? Handelt es sich hier um ein typisches Verhalten der Gehörlosen? Und warum ist dies typisch? Gibt es darüber eine Videoserie?

Das Thema war „Der Wandel der Gebärdensprache, wohin führt das?“ Unsere Sprache, also die DGS (Deutsche Gebärdensprache) ist wunderbar und wenn wir unsere Sprache der Lautsprache anpassen, dann wird sie nicht mehr so einmalig sein. Nehmen wir zum Beispiel dieses „WAS“… früher haben wir, statt „WAS“ zu gebärden, einfach die Mimik dafür benutzt.

Unsere Sprache ist 3-dimensional und mehr, wenn wir aber immer mehr Wörter in unseren Wortschatz lassen, dann wird sie zur langweiligen 2D-Sprache und genau dies will ich vermeiden.

Kleines Beispiel… Busfahrerin sagen wir normalerweise in DGS:  BUS FRAU FAHREN und nicht BUSFAHRER PERSON FRAU ODER BUSFAHRERIN.

Wenn ich dieses Thema noch vertiefen soll, dann kann ich gleich ein 300-seitiges Buch schreiben (vielleicht kommt das noch). 😉

Video von Andreas Costrau, bei dem er den Begriff „Gebärdensprachdolmetscher“ mit Erklärung hinterfragt (mit Untertitel):

Hier geht es zu seinem Youtube-Kanal: gebaerdenservice – einfach reinschnuppern und seine Gebärden-Botschaften aufnehmen 🙂

3) Meinst Du damit die Gebärden-„Worte“? In der Schriftsprache ist es ja eher wünschenswert, dass wir ein großes Wortschatz haben und unseren Wortschatz erweitern können. Aber in der Gebärdensprache ist es eher umgekehrt?

Darüber habe ich ein Film gemacht, es kommt irgendwann raus im Youtube / Facebook. Was ich damit sagen will, ist, dass die Gebärdensprache viel mehr aussagen kann, als die Lautsprache jemals schaffen wird, da unsere Sprache mehr als 3-dimensional ist. Die Lautsprache hat auch schöne Seiten, aber kann meiner Meinung nach die Gebärdensprache, wenn man sie richtig anwendet, niemals gleichstellen.

Ich sage immer, dass die Gebärdensprache bei Geschichte-erzählen, wenn man die genau auf Lautsprache übersetzt, ähnlich klingt wie bei der Audiodeskription für Blinde.

Wenn Ihr immer noch nicht ganz verstanden habt, dann kann ich gern noch einen Kurzfilm mit Beispiel machen.

4) In Deinen Videos entdecke ich immer wieder neue Facetten von Dir, Du gestaltest sie mit einem Schuss Humor. Ich entdecke darunter die Satire, den schwarzen Humor, den Schalk. Werden Deine Videos in diesem Sinn verstanden oder regen sie eine Diskussion an?

Ich vergleiche gern z.B. Gebärdennamen vs. Lautsprachnamen, um aufzuzeigen, dass viele unserer „Gebärden-Wörter“ unsinnig sind. Ausserdem ist bei uns das Vorstellungsritual anders strukturiert als in der Lautsprache. Wir stellen uns anders vor. Siehe hier:

1. Bist du taub?

2. Wo kommst du her?

3. Kennst du ….. ?

4. Updaten gemeinsamer Bekannten

5. Small talk

6. Nach vielleicht 2 Stunden oder beim 2. /3. Treffen fragen wir  DU WER DU?  und nicht DEIN NAME WAS?  und schon gar nicht DEIN GEBÄRDENNAME WAS? (Da bekomme ich glatt Augenherpes …).

Mein Ziel ist, dass Taube bewusster auf ihre Sprache und Identität achten sollten. Wir und unsere Sprache sind wirklich etwas besonderes …

5) Du bist mit deinem Unternehmen gebaerdenservice.de immer wieder in Filmprojekte eingebunden. Was genau machst Du und Dein Team in solchen Projekten? Kannst Du einige vollendete Projekte nennen?

Ich bin beim Filmbussines der Coach in Sachen Gebärdensprache und Taubenkultur, einige Schriftsteller lassen sich auch von mir beraten, z.B. die Schwestern von Sherwood:

Filme: Samba in Mettmann, Letzte Lüge, Die Jagdhunde, Dr.Klein, German Angst, Der Kriminalist, und einiges mehr. Ausserdem vollenden wir alle Projekte, die wir angefangen haben!!! (Anm. der Gehörlosblog-Redaktion: Mehr erfahrt Ihr auf der gebaerdenservice.de-Referenzseite)

6) Dein gebaerdenservice.de gibt es seit März 2006. Seit wann bist Du selbstständig? Wie kannst Du die Hindernisse, besser gesagt, die Herausforderungen in der Geschäftswelt überwinden?

Offiziell ist die gebaerdenservice.de seit 2006, aber die Seele, also meine Selbständigkeit hat schon 2002 mit gebaerdendozent.de begonnen. Was dazwischen war, ist eine lange unnötige Geschichte.

7) Wie steht es um Deinen Hörstatus? Auf Deiner Webseite kann man erfahren, dass Du in 3. tauber Generation bist. Du lebst Dein Motto: „Proud to be deaf!“ – Könntest Du uns Dein Motto näher erklären?

Mein Leben und meine Philosophie verdanke ich tauben und hörenden Mitmenschen. Meine Identität ist schlicht und einfach taub. Das ist genauso, wie wenn du einen Türken fragst, ob er Deutscher ist. Obwohl er in Deutschland geboren ist 😉 , wird er sagen, dass er Türke ist. Ich möchte, dass alle Taube das sagen können: „Proud to be deaf“.

8) Du sagst, du willst, dass Taube sagen können „Proud to be deaf“. Das heißt übersetzt „Sei stolz, taub zu sein“ oder „Stolz darauf, taub zu sein“. Ich habe selber noch nie gehört, dass ein Rollstuhlfahrer sagt: Ich bin stolz, gelähmt zu sein. Oder ein Blinder: Ich bin stolz darauf, blind zu sein… Das erfahre ich nur bei den Gehörlosen. Habe ich hier etwas falsch interpretiert? Könntest Du mich hier bitte aufklären?

Der Unterschied zwischen tauben Menschen und andere „Behinderungen“ ist, dass wir eine eigene Sprache haben… und wir treffen taube Menschen nicht, weil wir die gleiche “Behinderung“ haben, sondern weil wir die gleiche Sprache haben… 😉

9) Wie wurdest Du so gut angetrieben, locker zwischen der Deaf-Community und der Gesellschaft zu springen? Du kannst Dich in jeder dieser Welten bewegen. Wie konntest Du Dich in der hörenden Welt weiterbringen?

Ich denke, das liegt daran, dass ich Menschen liebe, die auch gut mit Menschen umgehen, und das sind Gott sei dank viele. Viel mehr, als man glaubt. Dazu gehört auch meine Neugier auf Neues und meine Neugier auf das „Anders sein“. Hörende sind für mich „das andere Wesen“, mit denen wir die Welt teilen. Manchmal nicht so gut …

10) Nochmals zu Deinen Videos: Du lässt die Zuschauer spüren, dass Dir sehr an der Gebärdensprache liegt. Du liebst die deutsche Gebärdensprache und vermittelst diese weiter an hörende Kunden. Was genau in deinem Unterricht veranlasst diese Hörenden, die Gebärdensprache so schnell und sogar gut zu erlernen in kurzer Zeit?

Das ist eine gute Frage, ich weiss es auch nicht wirklich. Ich glaube, alles, was Du mit Herz vermittelst, wird sehr schnell angenommen.

https://www.facebook.com/gebaerdenservice.de

11) Freust Du Dich, dass die Gebärdensprache seit 2001 in Berlin und 2002 in Deutschland anerkannt ist?

Ich muss leider mit Nein antworten, da ich das ziemlich unverschämt finde, unsere Sprache erstmal anzuerkennen! Ich wüsste nicht, wann die deutsche Lautsprache anerkannt ist?? Die Gebärdensprache war schon immer eine natürliche Sprache und KEINE Kommunikationshilfe für taube oder taubstumme Menschen, wie viele Sachbearbeiter in den Behörden glauben. Es ist einfach anmaßend, was die Gesellschaft mit uns macht. Oft vergessen sie das Grundgesetz Art 1 (1) „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
Unsere Würde ist unsere Kultur und Sprache. Ausserdem war die Gebärdensprache die erste Weltsprache gewesen.
Und das Behindertengleichstellungsgesetz ist auch ein Unding… Das grenzt uns doch noch mehr aus… Wo ist da die INKLUSION, wenn wir ein eigenes Gesetz haben??? Kopfschüttel…

12) Da stimme ich Dir zu. Auch ich denke so und habe deshalb nie über diese Form von Anerkennung der Gebärdensprache gebloggt. Jetzt zu Inklusion: Mit diesem Begriff „Inklusion“ tue ich mir selber schwer und dieses Wort ist für mich ein „kalter Begriff“, bei dem ich mir einfach kein Bild machen kann. Wie definierst Du die Inklusion für Dich?

INKLUSION ist ein bescheuertes Wort für mich, ABER auch der „JOKER“, um den Menschen, die überhaupt keine Ahnung vom gemeinsamen Leben haben, nahe zu bringen, dass wir voneinander viel lernen und profitieren können.

Wir, also ich, ich bin in einer SONDERSCHULE, puh noch ein Unwort, groß geworden. Wir / Ich wurden von den „NORMALEN“ Menschen ausgegrenzt und sie von uns. In meiner Klasse waren hauptsächlich „hörbehinderte“ Schüler. Einige haben noch etwas anderes, so wie Lernbehinderung, Down Syndrom, Autismus, spastische Lähmung und vieles mehr… Ich bin dankbar, dass ich mit diesen Menschen großgeworden bin. Ich habe bis heute keine Hemmungen, mit ihnen zu leben. Und vor allem brauche ich sehr wenig Aufklärung über diese wunderbaren Menschen. Das kann man von den „Normalen“ nicht behaupten. Sie nennen uns immer noch die „TAUBSTUMMEN“, obwohl das schon seit 100 Jahren ein diskriminierendes Wort ist.

Kurz und knapp: INKLUSION = Joker für das bessere Zusammenleben an die unwissenden Menschen, Politiker, Anwälte usw.

13) Welches besonderes Anliegen hast Du für die Gehörlosblog-Leser?

Bitte achtet auf eure Sprache und Kultur, denn sie ist wirklich einmalig. Lasst euch nicht einreden, dass die „Hörenden“ besser sind.
Bitte seht uns Taube nicht aus medizinischer Sicht, sondern aus soziologischer Sicht. Wir sind nicht behindert, sondern nur taub… (wir werden behindert: Kino-Spot „Behindern ist heilbar“).Und vor allem: WIR BRAUCHEN KEIN CI, um eine Zukunft zu haben, wir haben auch ohne CI eine wunderbare Zukunft…;)

14) Nenne mir bitte anhand einiger Beispiele, weshalb Du der Meinung bist, dass das CI (Cochlea Implantat) für die Zukunft nicht gebraucht wird? Wo liegen hier Deiner persönlichen Meinung nach die Grenzen?

CI ist eine super Erfindung für Menschen, dessen Erstsprache die Lautsprache ist und sie selbst hörend geboren sind. Und nicht für taub geborenes Kind mit dem Argument, dass das Kind ansonsten kein Zukunft haben könnte.
Das ist ja, wie wenn man einem blondem Baby die Haare schwarz färben würde, weil Blondinen angeblich dumm sind …

Ich danke Andreas Costrau ganz herzlich für dieses Interview. Es gelingt ihm, der Gesellschaft die Gebärdensprache auf eine klare Art und mit Liebe und Herz näher zu bringen. Seine Referenzen sprechen für sich :-). Gleichzeitig hinterfragt er kritisch gesellschaftliche Normalitätsgedanken und deren -begriffe, z.B. Gebärdensprachdolmetscher vs. Dolmetscher für Laut- und Gebärdensprache, was ich klasse finde. So manches ist nicht nur für Hörende, sondern für Gehörlose selber aufrüttelnd. Ein Macher, ein Augenöffner, ein Aufrüttler. Das ist mein persönlicher Eindruck von ihm 🙂

Ich wünsche ihm weiterhin viel Erfolg und wir dürfen uns auf weitere Videos und Botschaften von ihm freuen!

Eure Gehörlosbloggerin

Judith Harter

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  • Hallo Andreas, hallo Judith,

    danke für dieses aufschlussreiche Interview! Ich kann Andreas nur zustimmen. Definiert euch über eure wunderbare, einzigartige Sprache und eure Kultur. Apropos Sprache/Gebärdensprache: auch hier kann ich nur heftig mit dem Kopf nicken. Ich war vor ein paar Wochen im Museum für Kommunikation in Berlin. Dort wird sehr eingängig gezeigt, wie unsere Sprache und unser späterer Schriftzeichen-Code entstanden ist, nämlich aus Gebärden und ersten begleitenden Lauten.

    Viele Grüße, gutes Gelingen für die weiteren Projekte
    Gabriele
    schreibenundleben.com

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