Meine Tante Helga war eine der wenigen Hörenden, die sich richtig darum kümmerten, dass die Gehörlosen auch vom Gespräch mitbekamen. Sie ist vor einigen Jahren ganz plötzlich verstorben.

Immer, wenn sie bei uns war und wir saßen zusammen, sagte sie zu anderen Hörenden: „Ich spreche deutlich für Judith, damit sie mich auch verstehen kann und ihr anderen versteht mich auch so oder so.“

Hinzu kam noch ihr Naturell, „lebendig“ zu sprechen. Das heißt, sie gebrauchte auch ihre Hände und Mimik beim Reden, um ihren Worten Leben zu geben.

Sie hegte überhaupt kein Schamgefühl wie so viele andere Hörende, langsam und deutlich vor anderen zu sprechen, damit die anwesenden Gehörlosen auch sie verstehen konnten.

Nicht nur mir und meinen gehörlosen Schwestern gegenüber hat sie sich so prima verhalten.

Wenn meine gehörlosen Freunde bei mir waren, verhielt sie sich genauso gegenüber ihnen. Meine gehörlose Freunde waren sehr begeistert von ihr, dass sie so deutlich und lebhaft mit ihnen sprach. Ihre Mimik war immer schön anzusehen.

Als meine Tante Helga zu mir sagte, sie wünschte sich, ich wäre ihre Tochter – da war ich richtig erstaunt darüber. Dass sie das zu einem gehörlosen Mädchen sagt, ungeachtet der Behinderung!

Nach dem Tod meiner Tante begegnete ich auf einer Veranstaltung einer gehörlosen Frau, die mich aufgrund einer Ähnlichkeit als Nichte von Helga erkannte. Auch sie berichtete mir, wie gut Helga immer zu ihr war und dafür sorgte, dass sie alles mitbekommen konnte, was um sie herum gesprochen wurde.

Ich wünsche mir, es gäbe mehr hörende Menschen, die so sind wie meine Tante Helga. Offen und lebendig, mit Leben reden. Ohne Schamgefühl langsam und deutlich zu sprechen, wenn Gehörlose dabei sind. Die Hände und Mimik mit einzubeziehen, mit Schönheitsgefühl der Sprache.

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  • Ich las den wunderbaren Beitrag von Judith GÖLLER – über ihre „Tante Helga“.
    Sie schreibt sehr Persönliches – und und gerade deshalb ist ihr Text so authentisch. Doch erst das Persönliche macht Menschen sichtbar. Ich spüre die Liebe der Judith Göller zu ihrer Tante. Sie macht ein Gefühl der Dankbarkeit deutlich. Judith Göller ist dankbar dafür, dass sie diese Frau kannte und hatte. Die Tante hatte ein Gespür für ihre Nichte.
    Mein Vater war blind und ich weiß davon, dass er von einem guten Freund erzählte. Dieser war auch dann natürlich und offen zu ihm, als er blind wurde. Mit Eintritt seiner Blindheit wurde die Zahl seiner Freunde kleiner.
    Viele seiner Freunde damals wussten nicht, wie sie ihm begegnen sollten.
    Sie hatten Unsicherheit und Angst und schämten sich, vielleicht auch davor, dass sie sehen konnten und mein Vater nicht mehr.
    Mein Vater musste immer wieder sagen, begegnet mir normal. Wir werden uns einigen, wenn ich Hilfe brauche.
    Ich werde immer wieder erinnert an die Worte meines früheren Professors, Walter Thimm, der sagte, es ist mehr möglich, als man denkt.
    Das aber hatte ich von Kind an auch schon gelernt.
    Ich habe den Beitrag von Judith Göller mit gutem Spüren gelesen.

    ERICH MEYER

  • Judith Göller durfte ich letztes Wochenende persönlich kennen lernen… und ich kann nur sagen, es hat mich berührt, bewegt und ich freu mich über diese neue, wunderbare Freundschaft…
    Und ich bin richtig stolz 🙂 weil ich so „lebendig“ rede… und so mit den Händen mitrede… bis jetzt wurde ich oft gerügt dafür: ich sei zu laut, zu hektisch, zu sehr im Mittelpunkt… und daher kommt auch der Spruch:
    „auch wenn man Laura nicht sieht, man hört sie“ – und nun ist das ein richtiges Kompliment für mich geworden, dass Judith mich so gut „hört“ auch wenn es nicht akustisch ist… wir verstehen uns – das ist es, was zählt… und jetzt steh ich noch mehr dazu, so „lebendig“ und so „laut“ zu sein… 😉 und dafür danke ich Dir, liebe Judith… von Herzen, Deine Laura

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